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Artikel: Besonderheiten 2007 . Gruppe der ACHT . Warum wir niemals aufgeben

Besonderheiten 2007

Kampf der Elemente (Lüchow E-Werk für Kunst mit behinderten Kindern)

Die Initiative „für Kunst mit behinderten Kindern“ organisierte im Juni 2006 einen Workshop zum Thema „Kampf der Elemente“. Unter der Leitung der beiden Künstler Ernst von Hopffgarten (Bildhauer) und Andreas von Hopffgarten (Musiker) sind 5 großflächige Bilder (3,60 m x 2,50 m) und Klangcollagen entstanden.
Vom ersten Projekttag schildert Ernst von Hopffgarten seine Eindrücke:
„Es ist Montag, der 19. Juni 2006, unser erster Workshop-Tag. Wir warten auf die Schüler. Im Gartower Zehntspeicher ist alles vorbereitet.
Zwei Jahre Vorbereitungszeit, das Konzept steht. Wird es funktionieren? Scheitern ist inbegriffen, aber mein Ehrgeiz stachelt mich an. Ich bin nervös und überprüfe noch einmal die Farbeimer, die an Verlängerungsstiele montierten Quaste. Andreas, der für den musikalischen Teil zuständig ist, scheint alles im Griff zu haben.
Und dann fahren die Kleinbusse vor. Schüler, Lehrer und Betreuer stürmen den Speicher. Zuletzt werden die mehrfach schwerstbehinderten Schüler hereingebracht. Rabea tastet mit ihren großen Augen den Raum ab, ihre dünnen Ärmchen ragen hilflos in die Gegend. Lutz sieht etwas gequält aus – weint er gleich, oder lacht er gleich? Anna-Maria ist völlig in sich versunken.
Und da geht es wieder los (ich dachte, ich hätte es hinter mir): eine unwiderstehliche Betroffenheit ergreift mich, ich bringe es nicht fertig, auf sie zuzugehen und sie zu begrüßen. Die Betreuer kümmern sich, sie wirken unglaublich kompetent, sie sind die Ruhe selbst. Lutz freut sich, ein Strahlen geht durch sein Gesicht. Da wandelt sich meine Scheu in Rührung, es schnürt mir den Hals zu.
Die Arbeit ruft, das hilft mir in die Normalität zurück. Einführung in das Thema – heute ist das Element Wasser dran.
Achmed und Urim greifen sich je einen Malbesen, ich halte ihnen den Farbeimer hin und ohne Umschweife beginnen sie, breite Spuren auf die Malfläche zu streichen. Oh Gott, ganz anders als ich mir das vorgestellt hatte, wie soll daraus ein Bild entstehen? Ich versuche, etwas zu steuern, vergeblich. Also denke ich um, lasse ihnen freien Lauf. Lucas bekommt einen Fassadenpinsel in die Hand gedrückt und hellblaue Farbe. Er streicht vom Rand her alles zu, was ihm in die Quere kommt. Beim partiellen Überstreichen der Wellenspuren entstehen reizvolle Mischtöne. Achmed und Urim sind etwas frustriert, ich muss Lucas an eine andere Stelle bringen, damit er nicht alles zustreicht. Clara bekommt den Eimer mit Weiß, sie vermittelt geschickt zwischen den etwas kantigen dunkelblauen Wellen und den hellblauen Stellen von Lucas, der wiederum mit großem Eifer noch einige Stellen vermalt. (Lucas entwickelt sich im Laufe des Workshops zu meinem ausdauerndsten Maler.)
Anderthalb Stunden sind um, der Malprozess erforderte hohe Konzentration, ich bin ziemlich fertig – das erste Bild auch.

Schülerprojekt (Nemitz)

In diesem Jahr stellt wieder eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums Lüchow Werke aus. Es handelt es sich um figürliche Kleinplastiken, die die verschiedensten Posen und Posituren einnehmen. Welche Positionen – auch in Bezug auf heiße Herbsttage sich dahinter verbergen, überlassen die Schülerinnen und Schüler der Interpretationslust der Rezipienten.

30 Jahre Gorleben (Plattenlaase)

Die Theaterwehr Brandheide präsentiert „Heisse Kartoffeln“
Eine Dokumentation und Begegnung mit dem vor 30 Jahren gegründeten freien Theater.

Schülerführungen KLP (Dannenberg)

In der Galerie „Hinterhaus“ gibt es am Montag, den 21. Mai bis Donnerstag, den 24. Mai Führungen für Schüler. Sie geben zum Einen Einblicke in die verschiedenen Techniken des Holzschnittes zum Thema des „Vernehmens“. Was höre, sehe, fühle ich und wie ist das mit den Holzschnitten in der Ausstellung realisiert? Zum Anderen werden die kinetischen Arbeiten zum Thema „Die Wirklichkeit ist in den Schatten aufgehoben“, vorgestellt. Die Führungen zu den Holzschnitten und beweglichen Objekten bieten die Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst im Gespräch. Bitte anmelden: 05861 2445 oder 04102 42674

Das andere Wanderkino (Meuchelfitz-Billerbeck-Mützingen-Gedelitz-Neu Tramm-Breese)

Wanderkinos haben eine lange Tradition in Regionen abseits der großen Lichtspielhäuser. Oftmals waren sie für viele Menschen Quelle der Information und Imagination. Das andere Wanderkino greift diese Tradition auf, um Themen zu beleuchten, die von der heutigen Medien- und Kulturindustrie unterbelichtet oder ausgeblendet werden. Wir laden ein zu einem anderen Kinoerlebnis: mit dokumentarischen, spielerischen und experimentellen Filmen, mit Raum und Zeit für Gespräche und Diskussionen; mit Gästen, die ihr Wissen gerne teilen möchten.
Alle Vorstellungen beginnen mit Einbruch der Dämmerung. Bei schönem Wetter draußen, bei schlechtem Wetter stehen Scheunen und Zelte bereit.

Kinder verschwinden (Sipnitz)

Fluchtpunkt e.V. greift die Kampagne „Kinder verschwinden“ auf, die versucht die Situation von Flüchtlingskindern ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zu bringen.
„Mehrere tausend ausländische Kinder leben in Hamburg mit nichts weiter als einer Duldung. Mehrmals pro Woche fahren MitarbeiterInnen der Ausländerbehörde morgens um vier mit Bussen durch die Stadt. Dann werden ganze Familien abgeholt. Die Eltern in Handschellen, die Kinder gehen verstört hinterher. Am Morgen kommt eine Mutter nicht zur Arbeit und ein Kind fehlt in der Schule. Ständige Angst macht krank. Kindheit ohne Zukunft macht krank.“
Hamburg hat als erstes Bundesland ein zentrales Schülerregister eingeführt, dass die Schulen verpflichtet, alle Kinder dort anzugeben – auch Kinder, die ohne Papiere leben müssen. Auf dieses Register soll in der Zukunft auch die Innenbehörde und die Ausländerbehörde Zugriff erhalten. Die Elternkammer, die GEW und viele Schulen in Hamburg fordern, dass die Schule ein Schutzraum für Schüler sein soll und weder der Innenbehörde noch der Ausländerbehörde zuarbeitet. Wie Kirchen und Arztpraxen muss dieser Raum angstfrei für alle sein. Alle Kinder haben ein Recht auf Bildung, ob sie nun Papiere haben oder nicht.
„Wir lassen die Kinder zu Wort kommen:
Wir präsentieren eine Installation der Schule Chemnitzstraße. Dabei geht es um das plötzliche Verschwinden des Mitschülers Samet Yilmaz.
Der Ausstellungsbeitrag aus der Ganztagsschule St. Pauli ist inzwischen mit dem „Bertini-Preis“ ausgezeichnet worden und dokumentiert die erfolgreiche Kampagne einer Schule und vor allem der MitschülerInnen von Yesim für ihr Bleiberecht.“

Ausstellung (Belitz)

Der Putenhof zeigt erneut eine Ausstellung, die sich mit Faschismus und Antisemitismus auseinandersetzt. Gezeigt wird: „Das Komplott“ – Will Eisners Comic über die 'Protokolle der Weisen von Zion'.

Kurve Wustrow, seit 25 Jahren Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion (Reitze)

Schnuppertraining Gewaltfreie Aktion
Ausprobieren und verstehen, wie Sitzblockaden funktionieren. Neugierig wie eine gewaltfreie CASTOR-Sitzblockade funktioniert? Frei von Kälte und Geschäftigkeit der novemberlichen Transporttage ausprobieren, wie es sich anfühlen kann von der Polizei weggetragen zu werden. Erfahren, wie gewaltfreie Sitzblockaden organisiert sind und welche Idee dahinter steht.
Samstag 19. Mai, 16.00 – 19.00 Uhr

Schnupperworkshop Statuentheater
Kleiner praktischer Einblick in das Theater der Unterdrückten. Theater muss nicht auf der großen Bühne stattfinden. Theater können wir auch selber machen. Mit dem Theater der Unterdrückten können wir Themen die uns berühren kreativ erkunden und gemeinsam Alternativen erproben. Der Workshop gibt eine praktische Idee davon, wie das in Brasilien entwickelte Theater der Unterdrückten funktioniert und was mensch alles damit machen kann.
Freitag 18. Mai, 16.00 – 19.00 Uhr

Simulierter Dialog – Filmvorführungen
Tragovi/Traces & It Can't Last Forever
Das Centre for Nonviolent Action (CNA) in Belgrad und Sarajevo – eine Partnerorganisation der KURVE Wustrow – hat zwei Dokumentarfilme produziert, die Einsichten und Erfahrungen von Menschen unterschiedlicher Seiten nebeneinander- und gegenüberstellen und so zu einer neuen Sicht auf die Vergangenheit aufrufen. Beide im Original mit deutschen Untertiteln und voraussichtlich in Anwesenheit des Regisseurs.

Diavortrag – Friedensarbeit in Palästina
Stephan Clauss war von 2002 bis 2006 für die KURVE Wustrow als Friedensfachkraft in Palästina, um SchulsozialarbeiterInnen in gewaltfreier Konfliktbearbeitung auszubilden.

Initiationsreisen (Gross Heide 16)

Gashalm e.V. zeigt Filme von Initiationsreisen für Jugendliche von 11-14 Jahren.

Schrift im Land, Projekt V (Bei Jameln an der B 248)

Leuchtende Großbuchstaben bilden am Pfingstwochenende die Schlußzeile aus G. Benns Gedicht „Gesänge“: Alles ist Ufer. Ewig ruft das Meer
Sind wir nur unsere Ururahnen?
Sind wir Bestimmung?

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Gruppe der ACHT

Pfingsten im Wendland – Sommer in Heiligendamm?!
Anfang Juni diesen Jahres findet in Heiligendamm an der Ostseeküste der diesjährige G8-Gipfel statt. Die G8 sind ein Zusammenschluss der acht wirtschaftlich und politisch mächtigsten Industrienationen (USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und Russland). Diese Treffen sollen die geplante Aufteilung der Welt in wirtschaftliche und politische Einflussbereiche auf höchster Ebene absegnen. Das äußert sich unter anderem in Angriffen auf die bäuerliche Autonomie, der Vorantreibung der Gentechnik, dem Versuch Atomenergie international weiter auszubauen und der Privatisierung öffentlicher Bereiche (Wasser, öffentlicher Nahverkehr, Krankenhäuser etc.). Der Ausbau des militärischen Bereiches und die Absicherung von Einflusszonen durch Kriege lassen sich hiervon nicht trennen. Was hat das mit uns zu tun? Auch die Entwicklung ländlicher Räume ist davon betroffen. Das Vorantreiben regenerativer Energien, nachhaltiges Wirtschaften durch Ökolandbau, die Ablehnung der Gentechnik sowie der gesellschaftlich breit getragene Widerstand gegen die Atompläne sind Lebensentwürfe, die den Auswirkungen der Globalisierung entgegenstehen. Wir sind an gesellschaftlichen und sozialen Lebensformen interessiert, die nicht nur die Absicherung des wirtschaftlichen Wachstums in den Vordergrund stellt. Vielmehr sind politische Konzepte gefordert, die langfristige Lösungsansätze für eine Verbesserung der sozialen und ökologischen Probleme dieser Erde bieten.

Ein Schritt voran in Heiligendamm
Werden die Regierungschefs/innen etwas anderes erörtern als ihr globales Kriegskommando? Werden sie über anderes reden, als ihr rassistisches Grenzregime – und dessen Konsequenzen? (Das Mittelmeer ist heute das größte Massengrab Europas. 15.000 Menschen ertranken in den letzten Jahren bei dem Versuch, die europäischen Küsten zu erreichen.) Nein, die Weltbank-Vertreter werden mit den Finanzministern reden, G8-Chefs werden mit ihren Sicherheitsministern konferieren, sie alle mögen mit dem IWF-Präsidenten und den Multinationalen Konzernen diskutieren. Das hat mit einer emanzipatorischen Entwicklung auf dieser Erde nichts zu tun. Deshalb wünschen wir uns Demonstrationen, Veranstaltungen, Blockaden, Aktionen, Diskussionen, Kultur- und Musikfestivals, die sichtbar und hörbar machen, dass wir uns mit einem solchen Weltsystem nicht abfinden werden, nirgendwo. Dabei sind Menschen der Sozialproteste, der Umwelt- und Friedensbewegung, aus der Gewerkschafts- und Menschenrechtsarbeit, der Selbstorganisation der MigrantInnen, der globalisierungskritischen Bewegung und Strömungen der Linken. Die Menge, Vielfalt, Internationalität und Radikalität der Bewegungen ist schon längst Beweis eines neuen, alternativen Globalisierungszyklus von unten. Auch im Wendland wird es im Vorfeld des G8-Gipfels Aktivitäten und Veranstaltungen zur Mobilisierung geben. So sind mehrere Veranstaltungen geplant (Termine bitte der Tagespresse entnehmen) und gibt es bereits ein Gruppe von Leuten (aus dem Wendland, Dahlenburg, Lüneburg, Celle und der Altmark), die sich regelmäßig treffen um von Wendland aus den Widerstand in Heiligendamm mit vorzubereiten. Diese Gruppe braucht unbedingt noch personelle und materielle Unterstützung. So soll eines der großen Camps komplett von hier aus organisiert werden. Während der KLP gibt es neben einem widerständigem Clownsworkshop inhaltliche Beiträge, Veranstaltungen und Filme u.a. in Meuchefitz (siehe im Programmteil). Nach der KLP am 29.5. wird hier eine Fahrradkarawane erwartet, die in Brügge gestartet ist und auf ihrem Weg durch halb Europa über die Auswirkungen der Globalisierung informiert. Nach einer gemeinsamen Aktion mit dem Widerstand im Wendland geht es weiter nach Wittstock. Als Auftakt der G8-Proteste ist eine Neubesiedlung des dort geplanten Bombenabwufplatzes geplant. Wer Lust hat sich an der Fahrradkarawane zu beteiligen, kann dies am 26.5. ab Hamburg oder dem 29.5. ab Gorleben tun. Wer einen praktischen Beitrag für die Mobilität des Widerstandes in Heiligendamm leisten möchte, kann fahrbare Fahrräder in Meuchefitz abgeben.

Nur mutig gestritten, the future is unwritten

Weitere Informationen unter:
dissentnetzwerk.org/wiki/ActionBikes
dissentnetzwerk.org/wiki/Fahrradkarawanen_/_bicycle_caravans
g8-2007.de

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Warum wir niemals aufgeben

Die ersten 30 Jahre Streit um Gorleben

1977, das war das Jahr, in dem Hanns-Martin Schleyer und Andreas Baader starben. Borussia Mönchengladbach und Dynamo Dresden wurden deutsche Fußballmeister, die Sex Pistols sangen „God Save the queen“ und Abba „Money, Money, Money“. 1977 war Helmut Schmidt noch Bundeskanzler, Erich Honecker schon Staatsratsvorsitzender und Ernst Albrecht, der Vater von Ursula von der Leyen, Ministerpräsident von Niedersachen.

Und dieser Ernst Albrecht verkündete am 22. Februar jenes Jahres, dass Gorleben zum Standort eines Nuklearen Entsorgungszentrums werden soll, mit großen Lagerhallen, einer riesigen Wiederaufarbeitungsanlage (WAA), Brennelement-Fabriken, Atommüll-Verpackungs-Anlagen und einem Endlager tief im Salzstock.

Albrechts Hauptmotiv bei dieser Standortentscheidung wurde erst viel später bekannt. Es ging um die damalige geopolitische Lage des Wendlandes – eingeschlossen auf drei Seiten vom so genannten „Eisernen Vorhang“, der Grenze zwischen Ost und West.

Weitere Vorteile der Region waren: CDU-Mehrheiten, hohe Arbeitslosigkeit und Lüchow-Dannenberg ist der am dünnsten besiedelte Landkreis der alten Bundesrepublik. Albrecht dachte wohl, es sei auch der am dümmsten besiedelte – doch von Anfang an wehrten sich die Leute im Wendland dagegen, dass die Region zum „Atomklo der Republik“ wird und bekamen Unterstützung aus dem ganzen Bundesgebiet. Zur ersten Demonstration drei Wochen nach der Standortbenennung kamen 20.000 Menschen.
Motor des Widerstandes war die Bürgerinitiative, die von Anfang an klar machte: Es geht nicht nur um ein atommüllfreies Wendland, sondern um die Atomenergie-Nutzung insgesamt. Statt St. Florian zu huldigen, war jeder Protest gegen die Gorleben-Pläne mit einem entscheidenden Anhang versehen: „ und auch nicht anderswo!“ Die Botschaft: Nur der Ausstieg aus der Atomkraft kann dazu führen, dass nicht tagtäglich weiter radioaktive Abfälle produziert werden, von denen kein Mensch sagen kann, wie sie über 1 Million Jahre sicher gelagert werden können.

Plutonium hat eine Halbwertszeit von 24.000 Jahren, ein Castor-Behälter eine Haltbarkeit von 40 Jahren. Bis heute weiß niemand, was aus dem in der oberirdischen Gorlebener Leichtbauhalle lagernden Müll wird, wenn in zwei bis drei Jahrzehnten die ersten Behälter undicht werden.
Der Streit um Gorleben ist inzwischen durchaus schon ein geschichtliches Ereignis, hat aber genauso eine Gegenwart und Zukunft. Schon viel ist passiert – aber es wird auch noch weiterhin viel passieren müssen, bis die Protestbewegung ihre Ziele erreicht hat: Nach dem derzeit gültigen Atomgesetz werden die letzten AKWs bis etwa 2025 am Netz bleiben – vorausgesetzt, die Atomlobby setzt sich mit ihrer immer drängender vorgetragenen Forderung nach Laufzeitverlängerungen (sie müssten eigentlich Gefahrzeitverlängerungen sagen) nicht durch. Die Inbetriebnahme eines Endlagers für hochradioaktiven Müll wird von der Bundesregierung für die Jahre nach 2030 angestrebt.

In den letzten Jahren ist immer seltener die Rede davon, dass ein „geeigneter“ Standort für ein Endlager gesucht werden soll, inzwischen reden die PolitikerInnen lieber vom „geeignetsten“ Standort. Dieser Superlativ ist allerdings weniger wert, denn damit würde von zwei oder drei Gesteinsformationen, die miteinander verglichen werden sollen, die am wenigsten ungeeignete zum Atomklo. Das ist so, als würde ich mit drei kaputten Autos beim TÜV vorfahren und bekomme die Plakette auf den Wagen, der am wenigsten Schäden aufweist. Es gibt bisher also weder ein geeignetstes noch ein geeignetes Endlager. Umso größer ist die Gefahr, dass am Ende doch alles an Gorleben kleben bleibt.

Vergleicht man die ursprünglichen Gorleben-Pläne von Ernst Albrecht mit dem, was 30 Jahre später davon übrig geblieben ist, stellt man fest, wie erfolgreich der Protest im Wendland bisher war: Vorgesehen war ein riesiges Areal mit Atomfabriken aller Art und einem Endlager, das Ende der 90er Jahre in Betrieb gehen sollte. In Betrieb sind heute zwei Lagerhallen, mehr nicht. Und 24 Jahre nach ihrer Fertigstellung ist die Castor-Halle noch nicht einmal zu 20% gefüllt. Die beharrlichen wendländischen ProtestiererInnen haben also bisher fast alles gewonnen und kaum etwas verloren.

Eines der Wesenmerkmale des wendländischen Widerstandes ist die Tatsache, dass die Menschen hier in der Region nicht aufgeben. Das liegt nicht nur daran, dass wir so nah am Problem dran sind. Es liegt auch an der bunt gemischten Bevölkerung, in der alteingesessene Bauernfamilien wunderbar mit städtischen Intellektuellen, einer nicht nur zur Landpartie quicklebendigen Kulturszene und unterschiedlichsten Spielarten von PolitaktivistInnen miteinander gehen. Wie selbstverständlich treten außerdem die Kinder und Enkel der frühen Protestgenerationen in die Fußstapfen ihrer Eltern und finden doch immer wieder neue Wege des Widerstandes.

Eine Ursache des langen Atems ist natürlich auch, dass der wendländische Widerstand nie nur „Anti“ war, sondern das Positive, Lebendige, Alternative gleich mitdenkt und ins Handeln einbezieht. Und zwar einerseits durch eine phantasievolle bunte Protestkultur, die im Zweifelsfall eher zum Augenzwinkern und Lachen neigt statt zum Wutgeheul. Und andererseits, indem hier von Anfang an tatkräftig an Ideen und Wegen gearbeitet wurde, wie die Gesellschaft ohne die Risiken von Atomtechnik, Chemieindustrie und anderer Umweltgefahren gut leben kann. So ist die Region Wendland / Elbetal eine von 100 europaweiten Vorzeigeregionen für Erneuerbare Energien. Im Rahmen der Kampagne für den Durchbruch der erneuerbaren Energien erhielt das 100 %-Erneuerbare-Energie-Projekt des Landkreises Lüchow-Dannenberg den 1. Preis für die beste ländliche Region in Europa.
Gorleben ist längst zu einem Symbol geworden, einerseits für den Streit um die Atomkraft und andererseits auch für übergeordnete Erfahrungen, die hier im Wendland viele gemacht haben: Es lohnt, sich zu wehren. Wenn alle, die immer sagen, ich alleine kann ja doch nichts machen, anfangen etwas zu machen, sind wir plötzlich richtig viele. Wenn sich die kleinen scheinbar ohnmächtigen Leute zusammenschließen und sich wehren, haben es die scheinbar Mächtigen unendlich schwer, ihre Pläne durchzusetzen. Die Auseinandersetzung um Gorleben und die Atomkraft ist dennoch längst nicht abgeschlossen, sondern wird uns wahrscheinlich noch lange beschäftigen. Der lange Atem der Menschen rund um Gorleben ist kein Automatismus. Er muss immer wieder neu gestärkt werden, durch Unterstützung von außen. Die nächsten Monate werden dafür entscheidend. Zum einen, weil sich die Bundesregierung auf ein Konzept in Sachen Endlager festlegen will, zum anderen, weil bei der umstrittenen Laufzeitverlängerung für Uralt-AKWs auch weiter Atommüll anfällt.
Deshalb laden die unbeugsamen WendInnen alle BesucherInnen der Kulturellen Landpartie ein: Werden Sie mit uns aktiv gegen die weitere Nutzung der Atomenergie! Es gibt viele Möglichkeiten:

  • Wechseln Sie zu einem Stromanbieter ohne Atomstrom und werben Sie in Ihrem persönlichen Umfeld für diese einfache und preiswerte Methode, sich als VerbraucherIn politisch einzumischen! www.atomausstieg-selber-machen.de
  • Werden Sie Mitglied oder UnterstützerIn der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.! www.bi-luechow-dannenberg.de Fon: 05841-4684
  • Beteiligen Sie sich an den Mitmachaktionen für aktive AtomkraftgegnerInnen auf www.ausgestrahlt.de!
  • Kommen Sie nicht nur zur Kultur, sondern auch zur nächsten Demo ins Wendland! Aktuelle Termine auf www.castor.de
  • Informieren Sie sich- kompetente Ansprechpartner mit viel Zeit finden Sie an jedem Wunderpunkt.

Jochen Stay (mehr über den Autor auf www.jochen-stay.de)

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