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Artikel: Besonderheiten 2007 . Rede von Andreas Maier . To BI or not to BI

Idee einer Modellregion

Alles was die Entwicklung des Wendlandes in den letzten 30 Jahren beeinflusst hat – positiv wie negativ – hängt direkt oder indirekt mit den Atomanlagen in Gorleben zusammen.

Die Benennung des Standortes Gorleben für ein Nukleares Entsorgungszentrum durch den damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht im Februar 1977 brachte eine Bewegung in Gang, die bis heute ungebrochen anhält und das Leben der Region nachhaltig bestimmt. Die Bürgerinitiative Umweltschutz wird der mitgliederstärkste Verein, die „Bäuerliche Notgemeinschaft“, die „Gorlebenfrauen“, die „INI 60“ entstehen, die Zimmerleute organisieren sich in „Axt und Kelle“, Künstler gründenden „Westwendischen Kunstverein“. Trotz aller Proteste wird in Gorleben ein Zwischenlager errichtet, eine „Pilotkonditionierungsanlage“ gebaut und in den Salzstock mit Milliardenaufwand ein „Erkundungsbergwerk“ gegraben. Dem zu Trotz entwickelt der Widerstand gegen die Okkupation durch die Atomindustrie eine Kreativität, Dynamik und Ausdauer, die ungekannte Kräfte frei setzt. Widerstand macht Spaß und macht Sinn!

Heute wird das Leben im Wendland viel stärker durch die vielfältigen positiven Initiativen, Projekte und Firmen durchzogen, als die Bauwerke in Gorleben – die sichtbaren Zeichen scheinbarer Niederlagen dies vermögen. Mit der Besetzung des Bohrplatzes 1004 – dem Hüttendorf, der „Republik Freies Wendland“ und dem „Traum von einer Sache“ entstand die Ideeeiner Modellregion und für viele der heute etablierten Firmen, die das ökologische Schaufenster der Region repräsentieren, wurde damals diese Idee geboren. „Energisch gegen an leben!“ war die Devise und eine wesentliche Motivation junger Landwirte auf öko- Landbau umzustellen. „Ich kann nicht am Vormittag gegen die Atomanlagen protestieren und am Nachmittag mit der Giftspritze über den Acker fahren!“ Heute werden hier 20% der Ackerflächen ökologisch bebaut, im Bundesmittel sind es 3%. Lebbare Alternativen zu entwickeln ist nach wie vor vielfach dieTriebfeder des Handelns, Alternativen können auch wirtschaftliche Dynamik entwickeln.

So entstanden die „Wendland Cooperative“, „Meuchefitz“, der „Pfingstmarkt Kukate“ und in dessen Folge die Wunde.r.punkte und die Kulturelle Landpartie, die „öxpo“ und die UWG als unabhängige politische Gruppierung. Die Pioniere der Biogasanlagen sitzen hier und die größte Dichte der Tagungshäuser zeichnet die Region aus. Alle Lebensbereiche werden von beispielgebenden Projekten durchzogen – nicht alle haben die Zeit überdauert.

Der kreative Widerstand setzt Zeichen er zieht Menschen an, die ihr Leben bewusst gestalten und ihm einen tieferen Sinn geben wollen. Zum Protestieren sind viel gekommen zahlreiche sind geblieben. Sie haben sich eingerichtet nicht nur in Wohngemeinschaften, das alternative Lebengesucht und vielfach auch gefunden: Gemeinschaft macht stark!

War die Idee einer „Modellregion Wendland“ eher eine konkrete Utopie, werden mit dem Bundesmodellwettbewerb „Regionen aktiv“ des Landwirtschaftministeriums für die Entwicklung der Region konkrete Ziele benannt:

100 % regenerative Energieversorgung, 100 % artgerechte Tierhaltung,50 % ökologische Landwirtschaft. Das war im Jahr 2000.

Die Ergebnisse nach 6 Jahren gefördertem Modellversuch sind überallgegenwärtig: 60 % aller privaten Haushalte werden z. Z. mit regional erzeugtem Strom – vorwiegend aus Biogasanlagen versorgt. Die erste Biogastankstelle steht in Jameln. In Püggen arbeitet eine Biogasanlage auf ökologischer Grundlage, die Häuser des Dorfes werden über ein Nahwärmenetz von dort beheizt. In Gorleben produziert eine mittelständische Firma komplette Energiezentralen für Biogasanlagen, die in der ganzen Welt zum Einsatz kommen. Die Dannenberger Grundschule wird mit Holzhackschnitzeln beheizt, die im Gartower Forst aus Durchforstungsholz gewonnen werden. Das schafft sichere Arbeitsplätze und ist nachhaltige Kreislaufwirtschaft, durch die das Geld in der Region gehalten wird. Die Wendland Wind Betreibergesellschaft mit 220 überwiegend regionalen Kommanditisten hat 3,1 Mio. Euro für 4 Windkraftanlagen vor der Haustüreinvestiert. Und eine große Photovoltaikanlage für 600 000 € steht auf dem Dach der Bio-Mosterei Voelkel in Pevestorf.

Biobetriebe vertreiben im Verbund unter dem Markenzeichen „Wendländer“ Produkte mit dem Storch.

Viele weitere Projekte harren in den Schubladen – und an Ideen ist kein Mangel, nur an Geld.

Das erfolgreichste Projekt der „Modellregion Wendland“ ist jedoch die Kulturelle Landpartie selbst – viele Regionen beneiden uns darum und versuchen eine Kopie.

Genießen sie das Wendland, die Orte, die Landschaft und ihre Menschen- und falls sie genusssüchtig werden, ziehen sie doch hier her – es gibt Platz und Aufgaben für viele hier.

von Michael Seelig

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Rede von Andreas Maier

auf der Demonstration in Gorleben am 8. November 2008

Liebe Leute, wer niemals im Wendland war, weiß nicht Bescheid. Hunderttausende Menschen fahren Tag für Tag an Atomkraftwerken vorbei und halten all das für normal. Sie leben in einer Welt, in der alles normal ist. Sie haben ihre Arbeit, sie fahren mit dem Auto einkaufen, sie kochen sich morgens auf dem Elektroherd ein Frühstücksei, und alles ist normal. Auch ihr Fernseher läuft mit Strom. Alle diese Leute schauen fern, weit mehr als Menschen im Dritten Reich den Volksempfänger gehört haben. Gegen die Einheitsbilder im Fernsehen kommt keiner an. Es ist wie immer. Ihr braucht ja nicht einmal einen Autoreifen anzuzünden, es reicht schon, wenn hier auch nur einer jongliert. Dann sind wir im Fernseher schon Idioten. Das wird auch heute wieder so sein. Das ist die Geschichte dieses Widerstands hier. Wir hier im Wendland sind Chaoten und Idioten. Wir zünden Autoreifen an und machen Terz, selbst wenn wir gar keine Autoreifen anzünden. Zuhause in meiner Stammkneipe in Hessen sind wir noch schlimmer als die Ausländer. Die Leute haben Angst vor uns, weil sie glauben, wir wollen ihnen den Strom nehmen. Und dazu, glauben sie, haben wir kein Recht. Weil sie nämlich ein Recht auf Strom haben. Egal, woher er kommt, Hauptsache Strom.

Das ist die Welt, in der wir leben: Die, die das Wendland und Gorleben nicht kennen, für die ist alles normal. Und dann sehen sie uns, Typen in Outdoorklamotten, die wie verdreckte Revoluzzer aussehen und angeblich wie Hippies, dabei müssen wir uns lediglich so anziehen, weil November ist und weil es kalt ist und nass. Aber das verstehen sie in meiner Heimatkneipe nicht. Ich bin jetzt sogar bärtig seit drei Monaten. Seht ihr, hier kommt das fernsehtaugliche Klischee. Im Wendland tragen sie noch Bärte, und alle können jonglieren.

Mir ist neulich ein wahrhaft satanisches Argument für Windräder eingefallen. Alle hassen ja diese Windräder. Die Windräder sind das Schlimme, nicht die Atomkraftwerke. Denn die Windräder verschandeln unsere Natur. Atomkraftwerke verschandeln nicht unsere Natur, die sieht man ja nicht. Bei uns in Hessen tun sie, als seien Windräder die Geißel der Menschheit schlechthin. Wisst ihr, warum man alles, wirklich alles voll mit Windrädern zubauen sollte?

Damit die Leute endlich sehen, mit eigenen Augen sehen, was für ein Leben sie führen, was für einen Energieaufwand sie betreiben. Die Windräder sind sie selbst, die Leute, und deshalb hassen sie sie, weil sie in ihnen sehen müssen, was sie täglich tun und wie sie täglich leben. Die Menschen wollen die Augen vor sich verschließen. Deshalb gibt es Atomkraftwerke, und deshalb gibt es Atommüll. Im Wendland ist man der Wahrheit näher. Seitdem ich zweitausendzwei zum ersten Mal hier war, weiß ich besser, was Menschen können. Im Bösen wie im Guten. Ihr seid so ziemlich die einzigen Vorbilder, die man sich heute denken kann. Euer Tun werden sie später genauso als vorbildlich erklären, wie sie Sophie Scholl und die Weiße Rose zum Vorbild erklärt haben. Das werden sie wie immer dann machen, wenn alles zu spät ist. Dann werden Schulen nach euch benannt werden, und Schuldirektorenwerden große Reden auf euch halten. Heute aber sind wir nur verlumpte Gestalten, die auf Bäume klettern wie die Affen, und die Schuldirektorensehen uns im Fernsehen und werden zornig über die Störenfriede. Selbst die Polizisten sehen ja ordentlicher aus als wir! Störenfriede, das sind wir. Wir stören den Frieden der allgemeinen Vernichtung und der allgemeinen Sünde unseres normalen, alltäglichen Tuns. Sünde, ein anderes Wort gibt es nicht dafür. übrigens tun wir hier etwas ganz Dezidiertes. Wir versuchen, die Betriebsgenehmigung für Atomkraftwerke ad absurdum zuführen, sofort. Wir wollen nachweisen, dass es keinen Entsorgungsvorsorgenachweis gibt. Allein schon ein Unwort. Vorsorgen für eine Entsorgung, die es nie geben kann. Deshalb reicht ja schon die Vorsorge für eine Betriebsgenehmigung der Atomkraftwerke. Die Vorsorge ersetzt das Entsorgen. Das es nicht geben kann.

Alles das ist eine einzige Lüge. Das Einzige, was wir verantworten könnten, ist, sofort die Produktion zu stoppen. Alles andere ist Sünde und Lüge. Undjeder von uns weiß es und die wissen es auch. Zum Fahren eines Atomkraftwerks braucht es vor allem Sekundärtugenden. Wir kennen das Wort aus anderem Zusammenhang. Möge Gott uns alle schützen, wie bei jedem Transport. Er weiß, was wir hier tun. Und die Christen unter uns wissen, dass er mit uns ist. Kommt gut durch die nächsten Tage. Und eine letzte Bitte. Werdet über das Jahr nie zu Eiferern. Ihr wisst selbst, wie schnell wir anderen auf die Nerven gehen. Das bringt gar nichts, das stößt nur ab. Aber bleibt der Wahrheit treu und lasst nie nach. Kommt immer wieder her, Jahr für Jahr, auch wenn es gerade mal nicht Mode ist. Wir sind ja sowieso völlig aus der Mode.
Wir haben ja angeblich alle Bärte und jonglieren den ganzen Tag. Kommt immer wieder zurück ins Wendland, wo man der Wahrheit über uns näher ist, so nahe wie nirgends sonst. Und lasst euch vollkommen egal sein, was die sagen, die das hier nicht kennen. Also die Mitläufer in ihrer so genannten Normalität, für die sie zwar keine Outdoorkleidung brauchen wie wir anachronistische Siebziger-Jahre-Idioten, aber Uran und Reaktoren. Sie werden ihre Frühstückseier kochen bis zum Schluss, und ihre Steckdose wird ihnen das normalste von allem sein bis zum endgültigen Ende. Die Schweineschnauze in der Wand ist ihr Fetisch. Mag der liebe Gott entscheiden, wer von uns peinlicher ist. Wegwerfen, das ist ein schönes Wort. Was man wegwirft, ist zwar weg, aber immer noch da. Nur nicht hier, sondern woanders. Wenn sie ihren Müll wegwerfen, werfen sie ihn woanders hin, nämlich hierher. Atommüllwegwerfen heißt nichts anderes als ihn uns hinwerfen. Wegwerfen und hinwerfen und vorher produzieren und dann hin und her, damit die Leuteglauben, es gäbe eine Lösung. Da sagen wir danke. Wir sind alles, aber keine Idioten.

Und wir haben Bärte und wir können jonglieren.
Alles Gute, viel Glück!

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To BI or not to BI

Als sich im November 2008 16.000 Menschen vor der Bühne in Gorleben versammelten, waren wir euphorisch, haben uns gefreut: „Seht ihr – wir sind nicht klein zu kriegen!“ In diesem Herbst gibt es keinen Castor, dafür eine Bundestagswahl. Die Wahl wird mit darüber entscheiden, ob die Atomkraft ein Auslaufmodell ist und bleibt oder ob für die Konzerne mit der Laufzeitverlängerung die Kassen klingeln. Das Moratorium, de Erkundungsstopp, den es seit 2000 in Gorleben wegen geologischer Zweifel gibt, droht aufgehoben zu werden, wenn CDU und FDP in Berlin eine Mehrheit bekommen.

Schon die Standortbenennung fand nicht nach wissenschaftlichen Kriterienstatt, sondern folgte in erster Linie politischen Erwägungen. O-Ton Ernst Albrecht (CDU-Ministerpräsident): „Da wird sich die Ostzone schön ärgern!“ Anfängliche Eignungsbedingungen sind inzwischen widerlegt. So ist zwischen dem Salzstock und den wasserführenden Schichten keine schützende, geschlossene Tonschicht als Deckschicht vorhanden. Der Salzstock hat direkten Grundwasserkontakt, vom Salz werden jährlich zwischen 3.000 und 12.000 m2 abgelaugt.

Unabhängig von der Eignung speziell des Gorlebener Salzstocks ist für Wissenschaftler anderer Nationen fraglich, ob Salz als Lagerstätte für Atommüll überhaupt geeignet ist. Dennoch werden – allen Ankündigungen zum Trotz – keine Vergleiche gezogen und andere Standorte untersucht. Mittlerweile wurden über 1,5 Mrd. Euro für den Ausbau ausgegeben. Bundeskanzlerin Angela Merkel „argumentiert“ mit dieser Summe und möchte Gorleben fertig stellen („erkunden“). Dass die Asse II, das Pilotprojekt für Gorleben, inzwischen absäuft und das ehemalige DDR-Endlager Morsleben einzustürzen droht, hindert die Endlager-Community nicht daran, an Salz und Gorleben als Endlagergestein festzuhalten.

Einen „Castor“-Transport nach Gorleben wird es in diesem Jahr nicht geben. Der Protest gegen unzulängliche Sicherheitsstandards hat dazu geführt, dass ein neuer Castorbehälter konzipiert werden muss. Wir im Wendland werden die castorfreie Zeit nutzen, um Druck zu machen gegen die Atomlobby, die den Klimawandel als Argument für ihr dreckig-profitables Geschäft missbraucht. Machen Sie mit, informieren Sie sich über die laufenden Aktivitäten durch die Zeitung der BI, die Gorleben-Rundschau, die ca. 10mal jährlich erscheint. Wir freuen uns über Ihr Abonne- und Engagement.

Im Sommer geht die BI on tour: Wir düsen mit dem Bus durch die Republik, zu Atomkraftwerken, Kraftwerkszentralen, zeigen Filme, machen Musik und lernen jonglieren. Wer Lust hat, mit uns im Juli die Republik zu durchqueren, zu zelten, grillen und mit Aktionen für den Atomausstieg Stimmung zu machen, melde sich bei uns per Fon, Fax oderInternet, das wäre nett.

Am 5. September beim Großen Treck nach Berlin sollten Sie dabei sein: die Bäuerliche Notgemeinschaft und die BI, zusammen mit vielzähligen Umweltverbänden und Anti-Atominitiativen werden einen Treck vom Wendland nach Berlin veranstalten. Die Route wird an den deutsch-deutschen Katastrophen-Endlagern ASSE und Morsleben (mehr dazu unter www.atommuell-endlager.de) vorbei führen. Dort sind die haltlosen Versprechen einer sicheren Endlagerung im Salz abgesoffen, und wir werden das als Mahnung unseren politischen MandatsträgerInnen kurz vor der Bundestagswahl ins Gedächtnis rufen, wenn sie Gorleben als Endlagerstandortpreisen.

Adressieren Sie unsere Botschaft an die zukünftige Bundesregierung: die sichere Verwahrung von Atommüll ist gescheitert. Eine logische Konsequenz daraus ist die sofortige Abschaltung aller Atomanlagen!

Der Vorstand der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e. V.
Rosenstraße 20, 29439 Lüchow Telefon 05841 4684 Fax 3197
buero@bi-luechow-dannenberg.de
www.bi-luechow-dannenberg.de
Spendenkonto 44 060 721 BLZ 258 501 10 Sparkasse Lüchow

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