Archiv

Artikel: Hier spricht die Polizei . Interview mit Herbert Waltke . Der Widerstand kocht

A c h t u n g, … hier spricht die Polizei!

Man nehme 600 kg Beton mit lustigen Zusätzen für überraschte Gesichter bei den Männern an der Flex, etwas Stahl, Mut, gutes Timing, wendländische Ingenieurskunst und das Glück der Tüchtigen. Schon stoppt der Castor.

Am heutigen Sonntagmorgen ketteten sich vier Aktivisten der bäuerlichen Notgemeinschaft gegen 7.15 Uhr in einer Betonpyramide an, die zuvor auf die Gleise nahe Hitzacker verbracht wurde. Die vor Ort eingesetzten Polizeitechniker stellten nach mehrstündiger Arbeit an der Pyramide fest, dass hier augenscheinlich ein durchdachtes, ausgeklügeltes und nach Angaben der Aktivisten sicheres System vorliegt. Die Polizei befürchtete, dass die Aktivisten durch weitere Arbeiten Schäden an Leib und Leben davontragen könnten, so dass intensive Gespräche vor Ort geführt wurden. Die Polizei sieht sich nach derzeitigem Stand in zumutbarer Zeit nicht in der Lage, die Personen unverletzt zu befreien. Die Aktivisten haben nunmehr entschieden, zur Sicherung der eigenen Gesundheit die Aktion zu beenden.

Mit dieser Pressemitteilung vom 27.11.2011 erklärt die für den Castortransport 2011 verantwortliche polizeiliche Einsatzleitung das Scheitern ihres Auftrags, die Castorbehälter nach Gorleben zu bringen. Ohne die freundliche Mithilfe der Aktiven der Bäuerlichen Notgemeinschaft hätte der Atommüllzug umkehren müssen. Wohin?

Seitenanfang

Interview mit Herbert Waltke von der Bäuerlichen Notgemeinschaft

(Sprecher der Ankettaktion beim letzten Castortransport in Hitzacker)

Frage: Durch die Pyramidenaktion auf den Gleisen wurde der Castor 15 Stunden aufgehalten. Warum machen Sie das?

Weil wir im Laufe der vielen Jahre begriffen haben, dass Argumente, seien sie auch noch so gut, erst dann wirklich zählen, wenn man es schafft, sie in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung zu transportieren. Das ging irgendwann nicht mehr nur mit Demos oder Treckerblockaden, es musste etwas Neues passieren. Unsere Aktionen sind gewaltfrei und gleichzeitig effektiv, denn in jeder Stunde, die der Castor aufgehalten wird, rückt die Atommüllproblematik wieder mehr in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung. Mit unseren Aktionen haben wir viel Sympathie und Zustimmung auch über das Wendland hinaus bekommen.

Frage: Die Bäuerliche Notgemeinschaft: Bauern in Not. Welche Not lässt die Bauern des Wendlandes sich zusammenschließen?

Weil Bauern nicht einfach ihr Land unter den Arm klemmen und wegziehen können. Ihre Existenzgrundlage, ihr Boden ist hier. In Tschernobyl ist das Land für viele tausend Jahre verstrahlt, keiner kauft Gemüse aus der Umgebung von Fukushima. In Gorleben lagert schon jetzt Atommüll, der mindestens 1000 Mal so viel nukleares Material enthält, wie in Fukushima frei geworden ist – und das in einer Kartoffelscheune.

Frage: Dabei sind Bauern doch eigentlich eher konservativ?

Das mag sein, aber konservativ heißt nicht unbedingt negativ, wenn es um das Bewahren von Bewährtem geht. Und für Bauern ist der Grund und Boden existenziell – übrigens nicht nur für sie, denn auch der Rest der Menschheit lebt ja davon. Aber die Notgemeinschaft ist durchaus auch fortschrittlich, wenn es z. B. gegen die Gentechnik geht. Ansonsten sind wir parteiunabhängig, ein Aktionsbündnis ohne Mitgliedsbeitrag, Satzung oder Vorstand.

Frage: Warum sind die Bauern schlauer als die Polizei?

Zum Ersten: Wir bestimmen das „Spielfeld“. Standort der Blockade, Zeit, Technologie: Der Überraschungseffekt ist auf unserer Seite. Die Polizei trainiert in der Zeit zwischen den Transporten, Teams von Landes- und Bundespolizei bauen unsere Pyramiden nach und üben an ihnen. Aber wir versuchen immer, ihnen einen Schritt voraus zu sein. Zum Zweiten: Wir verwenden niemals das gleiche Prinzip beim Bau. Eine kleine Gruppe von Menschen mit technischem Verständnis, Phantasie und dem Willen, etwas zu bewirken, entwickelt und baut die Pyramiden. Und: Es gibt immer wieder neue Ideen! Zum Dritten: Wir sind schnell, gut vorbereitet und entschlossen. Wir sind eine kleine Gruppe, der ein riesiger, schwerfälliger Apparat gegenübersteht, mit allem dazugehörigen Kompetenzgerangel, mit Hierarchien, die sich unter Umständen auch blockieren, die sich über Stunden auf verschiedenen Ebenen abstimmen, sich ihre Entscheidungen absichern lassen. Kurz, man könnte sagen: Wir wollen, was wir tun. Die uns gegenüberstehenden Polizisten müssen …

Frage: Dieses Mal waren Sie nicht unter den Angeketteten, aber etliche Male früher. Hatten Sie Angst?

Nein. Wirklich stressig ist der Moment, kurz bevor es losgeht: Eine lange Zeit der Vorbereitung und plötzlich gilt es, den richtigen Moment abzupassen. Wir haben geübt, aber: wird alles klappen? Viele Menschen in einem engen Vorbereitungsraum, das zerrt an den Nerven. Dann draußen auf der Schiene, da ist Angst kein Thema mehr: Wir sorgen in der Vorbereitung für Licht, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn: Unsere Aktion ist öffentlich. Und dort auf der Schiene habe ich wirklich das Gefühl, etwas zu bewirken. Die lautstarke Unterstützung, die wir erfahren, wiegt alle Unbequemlichkeit auf. Öffentliche Wahrnehmung wird am ehesten durch spektakuläre Aktionen erreicht. Jede Stunde, die wir den Castor aufhalten, ist eine Stunde Aufmerksamkeit für ein lebenswichtiges Thema: Wir produzieren Müll, den wir nicht entsorgen können! Und: Gorleben ist für alle Zeiten geologisch tot und politisch verbrannt!

Seitenanfang

Der Widerstand kocht – Suppe für alle

Die „Essowiese“ in Dannenberg ist bei jedem Castortransport erster Anlaufpunkt für viele AktivistInnen. Hier gibt es Tipps für den Aufenthalt im widerständigen Landkreis, Karten, die Schlafplatzbörse das „Radio Freies Wendland“ und natürlich die Zentrale der kraft- und wärmespendenden Volxküche. Während der „heißen Phase“ begegnet man hier Menschen, die die Verpflegung der Demonstranten mit Essen und Trinken auf Schiene und Straße sowie in den Camps zu ihrer Aufgabe machen und dies als ihren Beitrag zum Widerstand sehen. In der Wendland-Volxküche dampft es rund um die Uhr aus Töpfen und Ofenrohren. Gekocht wird, was da ist. Es liegt ein Duft von Kürbissuppe mit Ingwer und Curry in der Luft. Von „Karlchen“, dem Transport-LKW der Wendland-Vokü wird gerade Feuerholz abgeladen. Im selben Moment machen sich Freiwillige daran, es klein zu hacken und die öfen zu füttern, die aus umgebauten Traktorfelgen und Metallfässern bestehen. Die Grenze zwischen Bekochten und Kochenden verschwindet. Schnibbel-Hilfen sind immer willkommen und wer kalte Finger hat, unterstützt die Küche kurzfristig an der „Wasch-Straße“. Tag und Nacht stehen große Wannen mit warmem Wasser für den Abwasch bereit. Vorspülen, Hauptspülen und Nachspülen sind hier eisernes Gesetz. Neben dem „Mutterschiff“, einem umgebauten Bauwagen, der als Basis dient, stehen zwei große Lager-Zelte, bis zum Rand gefüllt mit Lebensmitteln. Die Stamm-Crew der Volxküche hat im Vorfeld zu

Lebensmittelspenden bei Bauern und Großhändlern über Internet- Portale, die Lokalzeitung und E-Mail-Verteilern aufgerufen. Es sind Tausende, die mitmachen. Vor allem die Bio-Bauern aus dem Wendland unterstützen mit ihren lokalen Produkten. Menschenketten bilden sich, um tonnenweise Kartoffeln, Kürbisse, Rote Bete, Orangen und Möhren von den Lastwagen abzuladen und auf Paletten zu stapeln. Die Flut an Spenden bricht nicht ab. Hausfrauen bringen selbstgemachte Marmeladen und köstliche Kuchenkreationen. Auch Räuchertofu, Reismilch, Brot, Nudeln, Bratlings-Mischungen, Säfte und andere Leckereien lagern dort in großen Mengen und warten darauf, an die einzelnen Küchen in den Camps entlang der Transportstrecke verteilt zu werden. Zwischen acht und zehn Großküchen reisen zu jedem Castortransport an. Sie kommen aus Deutschland, Belgien und den Niederlanden und nennen sich Le Sabot, Rampenplan, Kokkerellen, Maulwürfe, Food For Action, Mobile Volxküche oder auch Fahrende Gerüchteküche. Die Koch-Kollektive sind untereinander gut vernetzt und haben gemeinsame Grundsätze. Sie sind selbstorganisierte „Mitmach-Küchen“ und kochen aus politischen Gründen auf Umweltkongressen, Weltbankoder G8 Protesten, Grenz-Camps, beim Anti-Atom Widerstand und anderen politisch unterstützenswürdigen Events. Der Hunger auf konkrete, praktische Arbeit treibt immer wieder neue Helfer aller Couleur in ihre Küchen. Die Volxküchen arbeiten nicht kommerziell, sind gegen Machtstrukturen und meist mit Spenden-Dose unterwegs. Das Geld, das übrig bleibt, fließt zurück in politische Projekte und Aktionen. Der Verzicht auf Fleisch- und Milchprodukte beim Kochen ist Konsens und stellt sich gegen Massentierhaltung, zudem schließt die vegane Küche niemanden aus. Wann immer es möglich ist, werden biologische Lebensmittel den konventionellen vorgezogen. Eine Küche kann zwischen 400 und 4000 warme Mahlzeiten auf einmal produzieren. Nicht selten reisen die Kochgruppen mit 200-Liter-Töpfen an. Unmengen an riesigen Thermobehältern sichern die Versorgung an den Brennpunkten. Heißgetränke und warme Speisen gibt es im Wendland bei jeder Blockade. Das gibt Kraft und Wärme für die Demonstranten und lässt bei dem nasskalten Novemberwetter auf Schienen und Zufahrtsstraßen länger aushalten.

30-stündiges Campieren ist da keine Seltenheit. Gestärkt vom Essen, versorgt mit warmen Decken und beschallt von Bands wie „Tuba libre“ oder der widerständischen Samba-Gruppe „Xamba“ wird der friedliche und bunte Protest schon beinahe zu einem Fest. Während die Volxküchen mit ihren vielen freiwilligen Helfern bis in die entlegensten Waldgebiete kommen, um Essen auszuteilen, sieht es bei der Versorgung der Polizei oft anders aus. Beim Castortransport 2010 zum Beispiel hatte die Polizei große Mühe, ihre Beamten mit dem Nötigsten zu versorgen. Die Polizeigewerkschaft beschwerte sich über 24-stündige Dauereinsätze ohne Verpflegung. Die Einsatzleitung der Polizei in Lüneburg bestätigte die Vorwürfe. Wegen blockierter Zufahrtswege mussten letztendlich Hubschrauber eingesetzt werden, um die Versorgung zu gewährleisten. Hungrig, übermüdet und von Kälte durchdrungen stießen die Beamten an ihre Grenzen. Das macht es natürlich schwierig in Extremsituationen besonnen zu reagieren. ähnliche Situationen gab es auch bei den Protesten zum G8 Gipfel- Treffen in Heiligendamm und an anderen Orten. Nicht nur bei uns im Wendland präsentiert sich die Volxküche als autonomer Dorfplatz. Sie holt das Kochgeschehen aus der Küche und stellt es auf die Straßen, mitten in die Schauplätze sozialer Kämpfe. Hier passiert etwas selbst Organisiertes, das besser funktioniert als die offiziellen staatlichen Organisationen. Wenn alle mithelfen und beisteuern was sie können (Geld, Arbeitskraft, Ideen, Mut…) lässt sich vielleicht auch eine bessere Welt aufbauen.

Rote Linsensuppe für ca. 1000 Personen
Wichtiges Zubehör: 400-Liter Topf

  • 75 kg rote Linsen
  • 25 kg Zwiebeln schälen und klein hacken
  • 50 kg Kartoffeln waschen und würfeln
  • 2 kg frischen Ingwer sauber machen und fein hacken
  • 2 kg Knoblauch schälen und fein hacken

Die Zwiebeln und den Ingwer in Öl anbraten. Den Knoblauch auch kurz mit anbraten. Mit Wasser ablöschen und 75 kg rote Linsen dazugeben. Dann die Kartoffeln dazu. Gut rühren bis es kocht und danach solange, bis die Linsen auseinander fallen. Die Suppe würzen mit Paprika, Pfeffer, Salz, Bouillon, Muskatnuss, Kreuzkümmel und evtl. Minze. Daraus werden 320 l dicke Linsensuppe, für ca. 1000 Personen.

Seitenanfang