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Artikel: Die Schlacht und das Wunder von Gorleben . Das Auto, der Parkplatz und der Rettungswagen . Sonderausstellung: TRIP DETROIT

Die Schlacht und das Wunder von Gorleben

Wie so viele Konflikte begann auch die Schlacht um Gorleben – so hat das Greenpeace-Magazin noch 2015 getitelt – mit einem Fingerzeig auf die Landkarte. Der Plan für ein AKW in Langendorf an der Elbe war zwar schon Mitte der 1970er-Jahre aufgegeben worden, aber, so schien es den Menschen im Wendland damals, nur um Schwung zu holen für ein noch gewaltigeres Projekt: Als Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) am 22. Februar 1977 mit ausgestrecktem Mittelfinger auf das kleine Fischerdorf im östlichsten Zipfel Westdeutschlands zeigte, war der Name Gorleben jenseits der Grenzen Lüchow-Dannenbergs völlig unbekannt. Ein NEZ sollte hier entstehen, so der einmütige Wille von Bund und Land, ein „Nukleares Entsorgungs-Zentrum“ gigantischen Ausmaßes. Geplant war eine Wiederaufarbeitungsanlage, eine Brennelementefabrik, ein Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente, eine Verpackungsanlage für atomare Abfälle und ein Endlager im Salzstock Gorleben-Rambow.

Nach der Bekanntgabe wurde Albrecht von einem Journalisten gefragt, ob die völlig überraschende Bestimmung Gorlebens als Standort für das NEZ auch etwas mit den geringen zu erwartenden Protesten zu tun habe. Immerhin war das Wendland dünn besiedelt und zudem fest in der Hand der CDU. Hastig, fast ein wenig schüchtern sagte Albrecht damals in die Kamera: „Das kann sich sehr schnell ändern.“ Damit, immerhin, sollte er Recht behalten!

Tatsächlich konnte in vierzig Jahren Widerstand das Allermeiste verhindert werden. Außer einem so genannten Erkundungsbergwerk, in dem noch kein Atommüll lagert, und der Zwischenlager für schwach-, mittel-, vor allem aber für hochradioaktiven Müll, ist nichts geblieben von den großen Plänen. Doch das allein ist nicht – so nenne ich das heute – das Wunder von Gorleben.
Der Fingerzeig auf die Landkarte Norddeutschlands war nämlich nicht der Anfang vom Ende des Wendlands, eher schon der Anfang vom Ende des Atomzeitalters in Deutschland, ganz sicher aber der Anfang einer bis heute lebendigen, bunten, phantasievollen Protest- und Widerstandskultur. Betonung natürlich auf Protest und Widerstand. Betonung aber auch auf Kultur!
Denn jetzt, wo es gerade keine Scharmützel in und keine großen Schlachten um Gorleben gibt, besinnen sich die Menschen im Wendland auf die Entwicklung ihres Umfelds: Dorfprojekte und Flüchtlingsarbeit, regionale Entwicklung und Gedanken zur Suffizienz, Ausbau der ohnehin vielfältigen Kulturlandschaft lauten hier die Stichworte. „Auf dem Land is‘ nix los!“, lautet ein gängiger Spruch. Wer so urteilt, für den hat das Wendland eine Menge Überraschungen parat, nicht zuletzt die Kulturelle Landpartie. Auch für diese Vielfalt hat Ernst Albrecht vor vierzig Jahren den Grundstein gelegt.

Heute hören wir von Journalisten andere Fragen. Sie verstehen häufig nicht, dass wir unseren vermeintlichen Sieg nicht feiern. Und tatsächlich: Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn der für 2022 geplante Atomausstieg noch einmal zurückgedreht würde. Politiker/-innen müssten vom Satan besessen sein, wenn sie Gorleben erneut als ernsthaften Kandidaten für ein Atommülllager ins Spiel bringen würden.
Das Problem ist nur: Nämlicher Teufel ist uns im Wendland wohlbekannt, und allzu oft in den letzten vierzig Jahren waren Politiker/-innen wirklich vom Satan besessen. Die zahllosen Kommissionen, Gremien und Gesetze seit der Standortbenennung Gorlebens sind uns im kollektiven Gedächtnis eingebrannt, da macht die jüngste Entwicklung mit Endlagerkommission, Begleitgremium und Suchgesetz keinen Neuanfang. Zu oft schon hat es Versuche zur Vereinnahmung des Widerstands gegeben – bis hin zu Verunglimpfungen und zur Kriminalisierung ganzer Gesellschaftsschichten. Es gibt bislang keinen Grund zu der Annahme, dass es dieses Mal anders käme. Nein, Ruhe werden wir erst geben, wenn der ungeeignete Salzstock Gorleben endgültig stillgelegt und das Salz wieder unter der Erde ist und wenn die 113 Castoren aus der „Kartoffelscheune“ im Gorlebener Forst im erdenklich sichersten Lager angekommen sind. Bis dahin allerdings, so steht zu befürchten, wird es noch einige Kulturelle Landpartien dauern!

Andreas Conradt
Gorleben Rundschau

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Das Auto, der Parkplatz und der Rettungswagen

Ein Brief von Landpartie-MacherInnen an unsere Gäste

Anfang Mai 2013: J. aus B. gerät zwischen Trecker und Maschine, zwei Stahlzinken bohren sich links und rechts durch seinen Schädel. Atmung und Puls sind nicht mehr spürbar. Noch während er die Notrufnummer 112 wählt, schafft Vater H.-J. es, seinen Sohn freizubekommen und danach die Wiederbelebung seines eigenen Kindes einleiten zu können. Jetzt kommt alles darauf an, wie lange Notarzt und Rettungswagen und der gleichzeitig von der Leitstelle alarmierte Hubschrauber bis zum Unfallort benötigen. Die Fahrzeuge der Rettungskräfte brauchen trotz der auf dem Land oft großen Entfernungen nur Minuten. Notarzt und Sanitäter übernehmen die Erstversorgung, der Rettungshubschrauber fliegt J. in die Klinik.

Der geschilderte Fall ist real passiert – während der zwölf Tage im Jahr, in denen die größte Kunst- und Handwerksausstellung im ländlichen Raum der Bundesrepublik stattfindet: die Kulturelle Landpartie – Wunderpunkte im Wendland (KLP). Er spielte sich in unmittelbarer Nähe von mehreren gut besuchten Wunderpunkten ab. J. hatte Glück im Unglück: Der Unfall passierte an einem schwächer besuchten Wochentag und zu einer Tageszeit, an der der Andrang der Gäste noch nicht so groß ist. Direkt an Himmelfahrt oder am Pfingstwochenende wären die Chancen für eine schnelle Erstversorgung vielleicht geringer gewesen:
Durch fahrlässig geparkte Fahrzeuge von Besuchern der KLP.

Auch wir als Veranstalter der einzelnen Wunderpunkte freuen uns das ganze Jahr auf Ihren/Euren Besuch. Aber: Wir und Sie als Besucher haben die Verpflichtung, gemeinsam dafür zu sorgen, dass Rettungswege an jedem Ort und zu jeder Zeit immer frei bleiben. Für uns alle können die Minuten, die ein Rettungswagen sich durch fahrlässig abgestellte Fahrzeuge kämpfen muss, im schlimmsten Fall über Leben und Tod entscheiden. Deshalb: Parken mit Verstand!

Die 5 Grundregeln:

  1. Parken Sie Ihr Auto in Dörfern oder Dorfnähe bitte NUR auf den dafür gekennzeichneten Randstreifen oder extra ausgewiesenen Parkflächen! Das gilt sowohl für „große“ Bundes- als auch für „kleine“ Dorfstraßen!
  2. Parken Sie NIE beidseitig an den schmalen Dorfverbindungsstraßen! Achten Sie darauf: Ein Rettungswagen muss auch bei Gegenverkehr jederzeit passieren können!
  3. Wenn das Parken an einer Straßenseite ausgewiesen ist: Nutzen Sie den Randstreifen und parken Sie wirklich am Rand! Es müssen nicht alle vier Räder auf dem Asphalt stehen!
  4. Wenn irgend möglich: Nutzen Sie das mitgebrachte Fahrrad als Hauptverkehrsmittel zwischen den einzelnen Wunderpunkten.
  5. Last but not least: Eine Wiese ohne Zaun ist NICHT automatisch ein Park- oder Campingplatz! Wenn Sie z. B. Ihr Wohnmobil für längere Zeit parken wollen, sprechen Sie die Veranstalter an den einzelnen Punkten an, wo das am besten möglich ist.

Fahrzeuge, die so fahrlässig geparkt sind, dass sie im Ernstfall Menschenleben gefährden, müssen abgeschleppt werden. Wir sind uns sicher: Die große Mehrheit unserer Gäste, die vernünftig parkt und dafür 100 m mehr läuft, hat dafür Verständnis!
Übrigens: J. aus B. ist nach wenigen Wochen ohne bleibende Schäden aus dem Krankenhaus entlassen worden. Wie durch ein Wunder haben die beiden Stahlzinken den Schädel nicht massiv verletzt.

Mathias Edler, Kussebode

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Sonderausstellung: Trip Detroit

Täglich ab 18 Uhr

Ausgehend von einem „Artist in Residence“ Aufenthalt der Künstlergruppe Studio +/0 in Detroit (Mi/USA) 2016 und der glücklichen Vernetzung mit anderen Künstlerinnen und Künstlern vor Ort, entwickelte sich die Idee den internationalen Austausch auszubauen und eine gemeinsame Ausstellung im Wendland zu realisieren.

In der Ausstellungshalle von Raum 2 sind während der KLP fünfzehn teils internationale, künstlerische Positionen zur „shrinking City“ Detroit vertreten.
An der Stadt Detroit interessierte die KünstlerInnen besonders die spezifische örtliche Situation – die Stadt ist durch den Zusammenbruch der Autoindustrie in den letzten Jahrzehnten von 2 Millionen auf 700.000 Einwohner geschrumpft. Der Leerstand von Wohnhäusern, Fabriken und Geschäften und der damit einhergehende Rückbau der Infrastruktur veränderten nicht nur das Gesicht der Stadt sondern auch die Haltung der verbliebenen Einwohner zu ihr. So entwickelte sich in den letzten Jahren eine intensive soziale und kulturelle Vernetzung von Kleinstbetrieben, Micro-Institutionen und Privatleuten, die mit wenig Kapital nachhaltig und kreativ kulturelle Projekte realisieren.

Die künstlerischen Positionen der Ausstellung „Trip Detroit“ sind breit gefächert und haben doch alle den gemeinsamen Ausgangspunkt der Arbeit mit der Stadt Detroit. Dieser Ansatz ist mal ganz konkret und geschichtlich motiviert, mal bezieht er sich auf die Architektur oder er speist sich aus gefundenen Papierschnipseln auf der Straße. Gerade mit dieser Bandbreite erschließt sich dem Betrachter ein vielschichtiges und persönliches Bild dieser amerikanischen Stadt und ihren Menschen, der Schwingungen und kleinen Absurditäten des Alltags. Die entstandenen Arbeiten sind so vielfältig wie die KünstlerInnen und ihre Herangehensweisen. Sie umfassen Collagen, Malerei, Installation, Fotografie, Grafik, Street-Art und Performance.

Für das Wendland bietet die Ausstellung vielfältige interessante Ansatzpunkte, denn Detroit ist eine Stadt, die als Motor-City mal so ganz das Gegenteil war von Provinz, in der sich zur Zeit die Natur aber so manche Leerstelle wieder zurückerobert, in der Strukturen neu erfunden werden müssen, Nachbarschaft an erster Stelle steht und gemeinsame Gärten die Gemeinschaft mit Gemüse versorgen.

Ulli Bomans (Bremen) | Brozilla (Hamburg) | Gilta Jansen (Wendland) | Tom Korn (Potsdam) | Claudia Kulenkampff (Hamburg) | Susanne Klingenberg (Wendland) | Folke Köbberling (Berlin) | Anna Jander | (Celle) | Franziska Klose (Leipzig) | Arthur Summereder (Wien) | Lucie Owen (USA) Jennifer Bennet (Berlin) | Josephine Mielke (Bremen) | Faina Lerman (Detroit) | Graem White (Detroit)

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